50 Jahre Porsche 911 Turbo: Eilige Drucksache
Der 911 Turbo, genannt „Witwenmacher“, war 1974 einer der schnellsten Sportwagen. Für Leistung sorgte der damals revolutionäre Turbolader, der den Sechszylinder zwangsbeatmete. Der 1978 vorgestellte 3.3 machte noch mehr Druck.
Text: Jens Koch Fotos: Marcus Krüger
Wer hat’s erfunden? Die Schweizer mal wieder. Alfred Büchi erhielt 1905 das Patent für den Turbolader, der bekanntlich die Abgase nutzt, um über eine Turbine die Luftzufuhr des Motors zu verdichten. Dadurch steigen die Leistung und der Wirkungsgrad des Motors, weil ein Teil der Energie, die sonst aus dem Endrohr verpufft, genutzt werden kann.
Während bei großen Dieselmotoren auf Schiffen und in Zügen schon seit Ende der 1920er- und 1930er-Jahre Turbolader zum Einsatz kamen, dauerte der Durchbruch der heute omnipräsenten Lader auf der Straße deutlich länger.
Erste Versuche mit Turboladern scheiterten 1962 kläglich: Beim F-85 Jetfire, dem ersten Serien-Pkw mit Turbo, verbaute Oldsmobile eine Wasser-Methanol-Einspritzung. Alle paar hundert Kilometer musste der Tank aufgefüllt werden. Vielen Besitzern war das zu umständlich, und ohne die Flüssigkeit drosselte der Motor die Leistung deutlich. Dazu kamen weitere technische Probleme, sodass Oldsmobile sich genötigt sah, die Motoren wieder auf Vergaser zurückzurüsten. Der ebenfalls 1962 vorgestellte Chevrolet Corvair funktionierte schon zuverlässiger. Sein für die Amerikaner ungewöhnliches Konzept mit luftgekühltem Sechszylinder-Boxermotor im Heck war die US-Antwort auf die kleinen und leichten europäischen Autos, die zu dieser Zeit einen Achtungserfolg im von inländischen Herstellern dominierten Markt feierten. Die Motorvariante mit Turbolader nahm Chevrolet 1966 wieder aus dem Programm.
In Europa ging es später, dafür aber umso rasanter los. Im Gegensatz zu Übersee, wo der Turbo in Verbindung mit kleineren Motoren für einen geringeren Verbrauch sorgen sollte, wollten die Europäer mit Rennsporttechnik Straßenfahrzeugen das Tieffliegen beibringen. 1973 kam mit dem legendären BMW 2002 turbo der erste Serien-Pkw mit Turbolader in Europa auf den Markt. Den Turbo hatte BMW schon zuvor bei Rennen erfolgreich erprobt, und der 2002 turbo sah auch aus wie ein Rennwagen: Mit den blauroten Streifen, dem Frontspoiler und dem in Spiegelschrift darauf lackierten Schlachtruf „turbo“ war er der Schrecken im Rückspiegel der Bürger-Mercedes /8, wenn er mit 212 km/h auf der Autobahn heranflog.
1974 folgte dann Porsche mit dem ersten 911 Turbo. Die Technik kam auch hier von der Rennstrecke auf die Straße: Zuerst sorgte der Turbolader 1972 in der CanAm-Version des Porsche 917 für überlegene Leistung. 1973 entschied Porsche, einen 911 mit Turbomotor als Gruppe-4-Rennwagen zu bauen. In der endgültigen Form sah das Reglement 1974 dann aber einen Turbofaktor, Mindestgewichte und maximale Felgenbreiten vor, die der 911 Turbo nicht erfüllen konnte, wenn er wettbewerbsfähig sein wollte. Also entschied sich Porsche trotz der Ölkrise dafür, den intern 930 genannten Turbo als Flaggschiff der Modellpalette für die Straße anzubieten.
Verglichen mit den 170 PS des BMW 2002 turbo wirkten die 260 PS und 250 km/h des 911 Turbo 3.0 noch brachialer. Trotzdem wollte der 930 schon damals kein spartanisch ausgestatteter und auf Leichtbau getrimmter Rennwagen mit Straßenzulassung sein, sondern ein gut ausgestatteter Reiserenner mit elektrischen Fensterhebern und optionaler Klimaanlage. Schon bald kamen elektrisch verstellbare Außenspiegel, ein Bremskraftverstärker und sogar Warnleuchten für Handbremse und Anschnallgurt hinzu. Der Wagen fand, trotz des immensen Preises, deutlich mehr Käufer, als Porsche erwartet hatte.
1978 legte der Sportwagenhersteller nach: Der 911 Turbo 3.3, den wir uns von der Autostadt Wolfsburg geliehen haben, erreichte dank vergrößertem Hubraum, höherer Verdichtung und vor allem dem erstmals eingesetzten Ladeluftkühler 300 PS und eine Endgeschwindigkeit von 260 km/h. Bei der Beschleunigung von null auf hundert konnte er mit 5,5 Sekunden sogar mit den damals schnellsten Supersportwagen Ferrari 512 BB (5,7 s) und Lamborghini Countach (5,4 s) und deren Zwölfzylindern mithalten.
Die Leistung setzt beim 3.3 etwas weniger explosionsartig ein als beim Vorgänger. Aber trotzdem sollten 4000 Umdrehungen nicht in der Kurve erreicht werden. Turboloch klingt immer so negativ, dabei besteht ja die Besonderheit eines Lochs darin, dass es, wenn man es wieder verlässt, besonders steil bergauf geht. Dieser Turbo-Boost des KKK-Laders nach dem Turboloch gehört zu den intensivsten Beschleunigungserlebnissen. Im 3.3 kann man ihn noch ungefiltert genießen, samt dem Zischen des Wastegate-Überdruckventils. Heute gewöhnt man ja dem Turbo eine harmonische Kraftentfaltung mittels variabler Turbinengeometrie oder einem zusätzlichen kleinen Lader an. Klar, so sind Sportwagen einfacher und sicherer zu fahren, und ESP und ABS helfen auch dabei, auf der Straße zu bleiben. Aber es ist auch bequemer und sicherer, mit der Gondelbahn auf einen Berg zu fahren, als ihn zu besteigen – nur ist es eben auch nicht dasselbe intensive Erlebnis.
Das sahen die Kunden damals schon so und kauften mit dem Wagen auch gleich das Image des „richtigen Kerls“ mit, der den Turbo wie ein wildes Pferd bezwingen muss und sich der Gefahr stellt. Die enormen Erfolge der auf dem 930 basierenden Rennwagen 934 und vor allem 935 untermauerten den Heldenstatus natürlich auch.
Unser Foto-911-Turbo von 1982 in Silbermetallic besitzt das auffällige rote Lederinterieur, das bei Porsche den Namen „Hummer“ trug. Er gehörte einem älteren Herrn, dessen Wunsch es war, dass der Wagen nach seinem Tod in die Autostadt Wolfsburg kommt. Hier kann der Porsche 930 als Meilenstein der Automobilgeschichte im ZeitHaus besucht werden, wenn er nicht gerade bei einer Oldtimer-Rallye mitfahren darf.
Richtig selten ist der 930 trotz des enormen Preises von 96.400 DM (1982) übrigens nicht: Bis 1989 baute Porsche 20.648 Exemplare mit 3,0- und 3,3-Liter-Motor. Er bewies, dass ein Turbolader in einem Serienfahrzeug zuverlässig sein kann. Und er begründete nicht nur für Porsche eine unglaubliche Erfolgsgeschichte: Denn seither krönt jede 911-Baureihe ein Turbo als Leistungsträger. In vielen Kinderzimmern löste er die Ferrari- und Lamborghini-Poster ab und wurde zum Traumwagen der jungen Autoquartett-Spieler. Bis heute heißen die leistungsstärksten Varianten bei Porsche Turbo, obwohl inzwischen auch die schwächeren 911-Modelle abgasaufgeladen daherkommen. Und sogar beim rein elektrischen Taycan prangt der Turbo-Schriftzug beim Topmodell am Heck. Der Begriff hat sich nicht nur bei Porsche von der ursprünglichen Technologie gelöst und steht für maximalen Schub.
Der 911 Turbo ebnete aber auch abseits von Porsche den Weg für einen noch breiteren Einsatz des Turboladers: 1978 folgte beispielsweise der Saab 99 Turbo, mit dem Stig Blomqvist im Jahr darauf die Schweden-Rallye gewann. Und 1978 kam mit dem Mercedes 300 TD der Baureihe 116 auch der erste Turbodiesel auf die Straße. Heute gibt es kaum noch einen Diesel ohne Lader und bei den Benzinern spielt der Turbo sowohl bei leistungsstarken Motoren als auch bei kleinvolumigen Verbrennern eine große Rolle. Dort erlaubt die Aufladung die Downsizing-Strategie, denn mit einem kleineren Hubraum verringert sich auch der Verbrauch im Teillastbereich.
Erfunden hat Porsche den Turbo also nicht, aber sie haben ihm in Zuffenhausen nicht nur zum Durchbruch verholfen, sondern auch für seinen legendären Ruf gesorgt. Und mit seinem Leistungsdruck haben sie aus einem Sportwagen den ersten deutschen Supersportwagen gemacht.
Der 911 Turbo S ist mit Allrad und 650 PS der stärkste und schnellste Porsche-Sportwagen. Wir haben ihn für den Fahrbericht als Cabrio die Serpentinen auf einen der höchsten und spektakulärsten Alpenpässe hochgejagt: dem Stilfser Joch auch bekannt unter seinem italienischen Namen Stelvio.